Slowmag | Interview mit Christoph Harrach

Ich liege auf dem Holzfußboden eines gutbürgerlichen Einfamilienhauses im Lippischen Land vor einem brennenden Ofen neben einem Harmonium und singe Hare Krishna. Mit mir singt eine ehemalige Schauspielerin, die vor 10 Jahren noch dachte, das Wichtigste im Leben seien der Applaus und ein niedriges Körpergewicht, ein ehemaliger Sprayer, der irgendwann durch Asthma beim Yoga gelandet ist, und ich – die BWLerin, deren Leistungswille zeitweise stärker ausgeprägt war als der Sinn für Harmonie und Liebe.

Wir singen zusammen, neben uns eine Jesus-Statue, an der Wand ein Bild von Ganesha, dem indischen “Elefantengott” und auf einem kleinen Altar ein Foto eines uralten Gurus aus Indien – und nichts fühlt sich seltsam an.

Vor nicht allzu langer Zeit hat Christoph, der ehemalig asthmatische Sprayer etwas Mutiges getan. Im Juni packten seine Frau und er ihre beiden Kinder und ihr Hab und Gut und folgten einem inneren Ruf, von der Großstadt Frankfurt am Main in die ostwestfälische Provinz in die vor dem Aussterben bedrohte Kurstadt Bad Meinberg zu ziehen. Eindeutig ein Wagnis, wie viele Freunde der Familie fanden. Und auch der Grund für unseren Besuch bei Christoph. Wir wollten persönlich sehen wie es so ist im Einfamilienhaus mit Garage und Gartenzaun.

Durch Christophs Leben ziehen sich mutige Aktionen wie rote Fäden. In den letzten 4 Jahren “besetzte” er regelmäßig mit rund 1.000 Gleichgesinnten für zwei Tage die Frankfurter Börse, um eine Konferenz mit dem esoterischen Namen KarmaKonsum durchzuführen und marschierte 2012 mit buddhistischen Bändern mitten durch Berlin. Jetzt folgt er dem inneren Ruf, aus einer maroden Kurstadt in einer strukturschwachen Region eine Yogastadt zu entwickeln. Initiiert wurde die Vision einer Modellstadt für Nachhaltigkeit, Spiritualität und Gesundheit von Sukadev Bretz, dem Gründer des in Bad Meinberg ansässigen Yogazentrums Yoga Vidya.

Auf dem Holzfußboden liegend sehe ich dem lachenden Elefantengott über mir in die lustigen Augen und frage mich, wann ich das letzte Mal etwas richtig Mutiges getan habe. Und wie es sich wohl anfühlt, wenn man sein Leben so umfassend verwandelt. Wenn man sich ganz fokussiert auf etwas, das einem wirklich wichtig ist.

Ich frage.

Christoph, was ist dir im Leben das Wichtigste?

Das Wichtigste ist für mich, dass ich meine Talente im Sinne einer zukunftsfähigen Entwicklung zum Wohle anderer Menschen und der Natur einsetzen kann.

Das kann im Kleinen in der Familie sein, als Yogalehrer oder in meiner Rolle als Meinungsführer für die Themen nachhaltige und gesunde Lebensstile. Die Voraussetzung für die Erfüllung dieser Ideale ist, dass es mir persönlich gut geht. Jede Veränderung fängt mit uns selbst an. Wenn wir wollen, dass es anderen Menschen gut geht, muss es zuerst uns gut gehen.

Wie hat Deine Familie reagiert als Du Ihnen erzähltest, dass es Dich nach Bad Meinberg zieht? Und was genau hast Du überhaupt vor?

In unserer “Kleinfamilie” war die gemeinsame Entscheidung relativ einfach. Meine Frau und ich kennen Bad Meinberg seit fast 10 Jahren. Wir waren meist 2-3 pro Jahr hier als “Yoga-Touristen”. Darüber war uns die Region vertraut und es bestanden schon gute Beziehungen zu MitarbeiterInnen des Hauses Yoga Vidya. Ein bestehendens Netzwerk von “Gleichgesinnten” war für uns die Vorraussetzung für den Ortswechsel aus der Stadt aufs Land.

Den Samen der Veränderung hat eine gute Freundin gesät, die schon samt Familie ein halbes Jahr vor uns nach Bad Meinberg gezogen ist. Als sie uns davon erzählte, lief bei mir direkt ein sehr konkreter innerer Film ab über die Möglichkeiten, die dieser Ort bietet und welche Rolle ich dabei spielen könnte. Yoga Vidya als größte außerindische Ausbildungs- und Seminarstätte für Yoga und Ayurveda zieht jährlich viele Tausend Praktizierende aus der deutschen Yoga-Community nach Bad Meinberg. Folgend den Untersuchungen des amerikanischen Soziologens Paul Rays glaube ich daran, dass spirituell orientierte Menschen wie die Yoga-Vidya-Gäste, Meinungsführer sind zu den Themen Gesundheit und Nachhaltigkeit. Für mich besteht eine eindeutige Verbindung zwischen der Yoga-  und der Nachhaltigkeitsbewegung. Als Beobachter soziokultureller Strömungen in der Gesellschaft sehe ich, dass es in einer gewissen Gruppe urbaner Nachhaltigkeitstrendsetter eine Sehnsucht nach einem “posturbanen ländlichen Lebensstil”. Auch sehnen sich viele nach einem Leben in einer Gemeinschaft. Darüber hinaus verändert sich die Arbeitswelt dahingehend, dass Menschen sich durch Telearbeit von der Abhängigkeit von einem Standort empanzipieren und sich ihren Arbeitsort quasi aussuchen können. Hinzu kommt, dass ländliche Regionen durch die “Landflucht” und den demografischen Wandel für eine solche Gruppe von Menschen ökonomisch attraktiv sind z.B. durch geringe Immobilienpreise und günstige Mieten sowie Flächen für Subsistenzwirtschaft.

Diese Rahmenbedingungen sind die ideal, um die Vision einer Yogastadt in den nächsten Jahren umzusetzen. Ich freue mich sehr darüber, dass ich meine vielen Erkenntnisse der letzten Jahre über den sozialen Wandel und mein Netzwerk in der deutschen Nachhaltigkeitsbewegung hier einbringen kann.

Konkret geht es darum, ausgehend von der Yoga-Community aus Bad Meinberg eine Modellstadt für Nachhaltigkeit, Gesundheit und Spiritualität zu entwickeln. Dieser Stadtentwicklungsprozess hat gerade erst begonnen. So habe ich u.a. ein Netzwerktreffen in Bad Meinberg ins Leben gerufen, wo wir gemeinsam an dieser Vision und ihrer Umsetzung arbeiten. Zentrale Punkte dabei sind die Vernetzung mit bestehenden lokalen “sympathisierenden” Personen und Netzwerken, die Entwicklung eines Stadtmarketing-Konzeptes, welches der Politik vorgestellt werden soll sowie die Ansiedlung von affinen Neubürgern.

 

Empfindest Du Dich als mutig? Nicht viele trauen sich, von der Stadt (zurück) ins Kaff zu ziehen.

Obwohl ich mich als vorsichtigen Menschen beschreiben würde, empfinde ich mich bei diesem von Außen betrachteten großen Schritt nicht mutig. Ich folge einer inneren Überzeugung, dass unser neues Leben auf dem Land in der Gemeinschaft für uns als “Yoga-Familie” viele Vorteile und Potenziale bietet. Zudem fügen sich meine beruflichen Erfahrungen perfekt in dieses Stadtentwicklungsprojekt ein.

 

Christoph, die Idee zur Yogastadt basiert auf der Vision von dem Yoga Vidya Gründer Sukadev, einem Sproß der Unternehmerfamilie Bretz, die wirtschaftlich sehr erfolgreich war. Du schreibst an einer Dissertation zum Thema Personalführung und veranstaltest jedes Jahr eine Wirtschaftskonferenz in Frankfurt. Wie passt Wirtschaft und Spiritualität zusammen?

Die “Wirtschaft” wie wir sie heute erleben ist kein zukunftsfähiges Modell. Dies kann an verschiedenen Indikatoren wie der Finanzkrise, dem Anwachsen der psychosomatischen Erkrankungen bei Angestellten oder dem globalen Raubbau an Mensch und Natur in der Produktion abgelesen werden. Wirtschaft in dieser Form stiftet immer weniger Sinn für die Gesellschaft. Und das spüren immer mehr Menschen. Eine spirituelle Haltung – also eine Haltung der menschlichen Verbundenheit – kann uns helfen, neue Wege aus den Krisen zu finden und das Umdenken in den Firmen zu fördern. Spiritualität ist für mich die Vorraussetzung für die Transformation der Wirtschaft und erfreulicherweise deutet einiges darauf hin, dass das Thema auch schon dort angekommen ist z.B. in Form von Business-Yoga oder Zen-Retreats für Manager.

Du wünscht Dir, dass andere Dir nach Bad Meinberg folgen. Denkst Du, es wird auf lange Sicht eine Flucht zurück in die Dörfer geben?

Ich glaube an die Vielfalt in der Natur. Aus diesem Grund besitzen beide Lebensformen unterschiedliche Vorteile für unterschiedliche Menschen. Eine Stadtflucht sehe ich nicht kommen, jedoch beobachte ich wie bereits erwähnt in einer gewissen “Avantgarde” die Sehnsucht nach Natur und Gemeinschaft auf dem Land.

Es ist spät geworden, die Kinder müssen vom Yoga ab- und frisches Holz aus dem Schuppen herausgeholt werden. Die Schauspielerin – aufgewachsen in Bad Meinberg – und ich sind nachdenklich und ganz erfüllt von soviel Vision. Wir kommen wieder – als Gäste im Hause Harrach, und wer weiß… vielleicht ereilt auch uns eines Tages der Ruf, etwas wirklich Mutiges zu tun.

Im Original hier: http://www.slowmag.eu/de/ausgabe/13/fokus.html