Slowmag | Über Freiheit im Allgemeinen und Speziellen

Wenn wir von Freiheit sprechen, dann meinen wir unsere persönliche, gefühlte Freiheit. Wir sind faktisch nicht an Ketten gebunden, leben in einer Gesellschaft, in der man seine Meinung äußern darf, haben Mauern hinter uns gelassen und reisen praktisch grenzenlos. Dennoch ist das Gefühl von Unfreiheit unser persönlichster und vielleicht aggressivster Dämon. Er sorgt dafür, dass wir uns limitiert fühlen, unglücklich sind, gestresst, voll von Sorgen, ausgebrannt. Die schlechte Nachricht ist: Nur du allein kannst das ändern. Die gute Nachricht ist: Du allein kannst das ändern.

Mein persönlicher Weg zur Freiheit begann mit dem ultimativen Rückbau aller vermeintlich stabilen und gleichzeitig klaustrophobisch beengenden Elemente in meinem Leben: Familie, Partner, Job, Geld, Wohnung. Ich habe im Grunde alles aufgegeben. Nicht alle Elemente habe ich freiwillig hinter mir gelassen, aber mit der schwindenden Verantwortung für Menschen und Dinge kam ein großes Gefühl der Erleichterung, eine spürbare Befreiung. Es entstand nach und nach ein leerer Raum. Ich füllte diesen Raum erstmal mit nichts.

Freiheit und Einsamkeit

Das Nichts allerdings kann verdammt still sein. Da saß ich nun, frei und ungebunden und all die tausend Dinge, die ich mit meinem Leben nun anstellen konnte schienen meilenweit entfernt, unrealistisch und überflüssig. Ohne die alten Strukturen, Gewohnheiten und Rituale kam es vor, dass ich stundenlang auf eine Wand starrte, einfach nur, weil mir nichts Besseres einfiel. Ich war frei zu tun, was immer ich wollte. Aber was ich wollte, wußte ich gar nicht. Allein in einem Raum bist Du selbst Dein Spiegel und die wichtigen und gleichsam nervtötenden Fragen tauchen einfach ungefragt auf. Wer bist Du, wenn nichts um Dich herum ist? Wer bist Du, wenn Du Dich nicht über dein Umfeld oder andere Menschen definierst? Wer bist Du, wenn Dich keiner braucht?

Freiheit und Flucht

Ein Ausweg aus der Einsamkeitsmisere erschien mir die Bewegung und das Verlassen der angestammten Orte. Reisen sollte die Lücken füllen, die sich aufgetan hatten. Ganz klassisch tappte ich in die Falle: mit leichtem Gepäck und Reiseführer, den ich angestrengt nicht zu oft gebrauchen wollte, klapperte ich schöne Straßen und Strände ab und lief und schaute und aß und trank und fühlte mich…frei von jeglichem Gefühl des Glücks. Eventuell hatte ich mir auf dem Weg in die Freiheit eine ordentliche Depression eingefangen.

Freiheit im Versteck

Zurück nach Hause war schwierig, denn das gab es ja nicht mehr. Der neue Plan war also: schaffe dir ein neues Zuhause. In meiner absoluten Freiheit – auch von festem Einkommen – war es gar nicht so leicht, das umzusetzen. Dem Himmel sei gedankt für gute Freunde, derer ich mich in meinem Freiheitsdrang Gott sei dank bisher nicht entledigt hatte. Das neue Zuhause war nun also eine WG mit 24Stunden Überwachung, damit ich mich weder einsam noch gelangweilt fühlen konnte. Die Rettung war das Einlegen und Einkochen von Gemüse und Obst, eine ordentliche Kiste voll mit Bastelsachen und Yoga in den eigenen vier Wänden. Ich nahm mir die Freiheit ausschließlich und vollkommen egoistisch nur das zu tun, was mir gefiel –ohne Kontakt zur Außenwelt – 3 Monate lang.

Freiheit und Selbstverantwortung

Auch die schönste Höhle wird mal zu ungemütlich, das hübscheste Nest zu eng und echte Langeweile ist ein sehr gutes Gegenmittel gegen Stubenhockerei. Es klatschten Phrasen, gute Ratschläge und Tipps wie Regentropfen gegen meine inneren Panzerglasfenster. „Raus aus der Opferrolle“, „Mach mal einen Kochkurs“, „Du brauchst mal wieder ne Herausforderung“. Es kommt der Punkt, an dem man sich selbst zu sehr auf die Nerven geht und erst dann begann ich zu begreifen, dass wohl niemand vorbei käme, um das Nichts mit Etwas zu füllen. Das ist meine Aufgabe und ich glaube, das ist gemeint mit: „Erwachsen werden“.

Freiheit und Wahrheit

Der Weg zu einer persönlichen Freiheit, die sich gut anfühlt, führt unweigerlich über die Wahrheit. Ehrlichkeit gegenüber Dir selbst – das kommt zuerst. Dann gegenüber den anderen. Je unzensierter desto besser. Wahrheit braucht Platz und so wächst Du mit jeder Erkenntnis weiter.

Du erlaubst Dir, Dich selbst neu kennenzulernen, befreist Dich von Konventionen und schreibst die Regeln neu. Für alte Freunde, Familie, Bekannte kann das eine sehr eigentümliche, irritierende Phase sein und so war Kopfschütteln die unangefochtene Geste des entsprechenden Jahres. Sei frei zu sagen was Du denkst und mach Dir über die Konsequenzen nicht soviele Gedanken, lautete mein Mantra und bis heute ist dies der Teil der Freiheit, der mich am meisten fasziniert. Laut sagen zu können, was man wirklich denkt und fühlt. Laut sagen zu sollen, welche Bedürfnisse man hat. Das größte Privileg und mir so fremd, dass ich es im Alltag wirklich üben muss.

Freiheit, Demut, Dankbarkeit

Die perfekte Übung ist es natürlich, diesen Text zu schreiben und ihn mit Euch zu teilen. Unsere Freiheit ist so groß, dass wir uns selbst Ort, Zeit und Gelegenheit erschaffen, unsere Meinung mitzuteilen. Unsere Unabhängigkeit ist ultimativ. Allein die Tatsache, dass wir die Zeit haben, uns mit der Frage von Freiheit intellektuell auseinanderzusetzen spricht so stark für sich, dass meine Dankbarkeit darüber kaum Grenzen kennt. Jedem Gefühl der Begrenztheit begegne ich mit lautem Widerspruch, denn es obliegt mir einzig selbst, wie ich mich fühle. Ein persönliches Freiheitsgefühl ebenso wie das persönlich definierte Glück ist eine Entscheidung. Hierfür wurden wir Menschen mit dem freien Willen ausgestattet. Das klappt natürlich nur in 6 von 10 Fällen, aber aufgeben gilt nicht. Nicht solange ich frei bin.

“Start telling the truth now and never stop. Begin by telling the truth to yourself about yourself. Then tell the truth to yourself about someone else. Then tell the truth about yourself to another. Then tell the truth about another to that other. Finally, tell the truth to everyone about everything. These are the 5 levels of truth telling. This is the five-fold path to freedom.” 

Original im Slowmag: http://www.slowmag.eu/de/ausgabe/16/liberte.html